Warener Stammtisch der Hochseefischer
Seekiste
Eine wahre Geschichte erzählt von Heinz Bonkewitz Ich machte meine ersten Schritte nach meiner Lehre als Matrose in der Loggerflotte. Mein Schiff ROS 114 hatte man auf den stolzen Namen „Stalingrad“ getauft. Später, als dieser Diktator, der sich als „Genius der Menschheit“ feiern ließ, nicht mehr lebte, erhielt das Schiff den Namen „Wolgograd“. Wir fischten Anfang des Jahres in der Ostsee überwiegend Plattfische, Scholle, Flunder, Butt aber auch Dorsch. Der Vorteil, die Reisen waren nicht so lang, manchmal war man schon nach 14 Tagen wieder in Rostock. Der Nachteil, es war oft, zumindest in dem Jahr, es war 1958, sehr kalt und windig, denn die Frühjahrsstürme machten um die Ostsee keinen Bogen. Die Fänge waren gut, allerdings waren die Plattfische nach kurzer Zeit steif gefroren. Und geschlachtet werden mussten sie auch noch. Es war eine höllische Arbeit. Die Hände waren bald, trotz der Schlachthandschuhe aus Baumwolle und der Gummihandschuhe darüber, steifgefroren. Und mir kamen Zweifel, ob es der richtige Beruf ist. Das einschmieren der Hände mit Lebertran half auch nicht viel. Vor allem in der Nacht war jeder gefangene Fisch, ein Fisch zuviel. Dabei fallen einem die abwegigsten Ideen ein. Die Jungs, da waren wir uns alle einig, schnitten heimlich ein Loch in den Steert, in der Hoffnung, dass beim nächsten Hol weniger Fische, oder keine Fische zu verarbeiten sind. Ein paar Stunden Schlaf hätten uns gut getan, denn zu der Zeit wurde noch rund um die Uhr gearbeitet. Aber was passiert, wenn man eine Sache nicht richtig macht? Das Loch war zu klein geraten. Ein dicker Steinbutt hatte sich vordas Loch gelegt und versperrte den anderen Fischen den Weg in die Freiheit. Und wie es oft so ist, es wurde auch noch ein guter Hol. Wie gesagt, die Ostsee konnte sehr ungemütlich werden. Die Logger hatten noch keinen Backaufbau und das Schanzkleid auf der Bb.-Seite war noch nicht erhöht worden. Mit anderen Worten: man hatte vor Wind und Seegang wenig Schutz. Es bestand eine Weisung des Betriebes, dass man ab einer bestimmten Windstärke unter Land Schutz suchen, oder einen Hafen anlaufen kann. Das war in den meisten Fällen Gdynia, denn es war der nächstgelegene Hafen. Die Windstärke reichte aus, also auf nach Gdynia. Geld aufnehmen, wozu. Es gab ja genügend andere andere Tauschmittel. Da ich die Geflogenheiten im Freundesland nicht kannte, hatte ich auch keine lukrativen Tauschmittel. Vielleicht war es auch gut so. in der DDR waren einige Waren knapp, in Polen gab es sie gar nicht. Nachdem man sich mit Zloty versorgt hatte, ging es , wie kann es anders sein, in die nächste Hafenbar, wo nicht nur mit Zloty, sondern auch mit Naturalien bezahlt werden konnte. Was soll man im Winter auch anderes machen. Es gab zu trinken, es gab Musik, Stimmung und gute Laune. Es gab nette Frauen, die auch noch hübsch waren. Das Leben kann so schön sein, man muss nur in den bereits genannten Währungen bezahlen können. Was konnte einem auch schon passieren, man war doch schließlich im sozialistischen Bruderland. Ein Matrose, der mit mir auf dem Fangplatz, beim Schlachten der Hartgefrorenen Plattfische, Gott und die Welt verfluchte, war nicht das erste mal in Gdynia. Er hatte Erfahrung, er wusste wie man zu den schönen Dingen des Lebens kommt. Zu Beginn der Ostseesaison kaufte er sich in Rostock bewusst Damenstrümpfe, keine Strumpfhosen, obwohl diese schon in Mode waren. Ging er an Land, steckte er aber nur einen Strumpf ein. In der Bar wurde er mit der Auserkorenen schnell handelseinig und man begab sich, nicht mehr ganz nüchtern, nach Hause. Die Ernüchterung war da, als es ans bezahlen ging, denn er konnte ja nur die Hälfte des vereinbarten Preises zahlen. Der Matrose wurde mit Recht sehr temperamentvoll beschimpft, was er zum Glück nicht verstand. Aber was blieb seiner Auserkorenen übrig, denn ein Strumpf ist kein Strumpf. Das Schiff lag noch einen Tag im Hafen. Die Schöne kam zu ihrem zweiten Strumpf und der Matrose zu seinem Vergnügen. Ganz geheuer war ihm die ganze Angelegenheit doch nicht. Solche Machenschaften sprechen sich schnell herum und der Matrose war froh als das Schiff den Hafen wieder verließ. Einige Zeit später war der Matrose wieder in Gdynia. Diesmal hatte er eine Strumpfhose als Bezahlungsmittel in der Tasche. Er hatte sich gebessert, aber das wussten die Damen des Lokals nicht. Man hatte aber seinen Betrug nicht vergessen und war vorsichtig geworden. Die Dinge nahmen ihren Lauf, denn erstens wusste niemand dass er ehrlich geworden war und zweitens, er hätte sich ein anderes Lokal aussuchen können. Es gab Bier, Wein, Sekt und schöne Frauen, was will man mehr. Der Matrose dachte nicht mehr an seinen Betrug. Zu vorgerückter Stunde begab man sich per Taxi zur Wohnung der Auserkorenen, die etwas außerhalb der Stadt wohnte. Vorher musste er aber den Preis des Liebesdienstes zeigen, sicher ist sicher. In der Wohnung angekommen, wurde er nach einem Glas Wein sehr münde, das Schäferstündchen konnte er abhaken. Frierend ist er auf einer Parkbank, unweit des Hafens, aufgewacht und das zu einer kalten Jahreszeit. Die Unterwäsche und das Seefahrtsbuch hatte man ihm zum Glück gelassen, man war ja bei „Freunden“. Das Schicksal kann so grausam sein oder vielleicht war es nur ausgleichende Gerechtigkeit. Heimlich hat er sich dann an Bord geschlichen, aber doch nicht heimlich genug. Ende vom Lied: wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Ich war nur einmal in Gdynia und nur einmal in dieser Bar. Ich hatte mich in Rostock weder mit Strümpfen noch Strumpfhosen eingedeckt. Ich kannte die Gepflogenheiten ja nicht.
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